An den
Bayerischen Landtag
Maximilianeum

81627 München

RO-Bad Aibling-SI/Scho
07.12.1999

Petition

Ablehnung eines neuen Industriegebietes im Weitmoos, einem landesweit bedeutsamen Feuchtgebiet; Stadt Bad Aibling, Lkr. Rosenheim

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Stadt Bad Aibling plant nördlich der Bundesautobahn A 8 nahe der Ausfahrt Bad Aibling im "Willinger Weitmoos" die Aufstellung eines Bebauungsplans und die Änderung des Flächennutzungsplans mit dem Ziel, die Grundstücke als neues Industriegebiet auszuweisen um dort die Errichtung eines Logistikzentrums mit Produktionsanlagen der Firma Kathrein zu ermöglichen. Die Gesamtfläche des geplanten Industriegebietes beträgt etwa 9,2 Hektar.

Bei dem Gebiet handelt es sich, laut Arten- und Biotopschutzprogramm (ABSP) des Landkreises Rosenheim, um ein landesweit bedeutsames Feuchtgebiet. Weiterhin ist die Landschaft in der Umgebung der Autobahnanschlussstelle Bad Aibling bisher von einer Bebauung weitestgehend nicht beeinträchtigt. Sie stellt somit einen der letzten Teilräume im Rosenheimer Becken dar, der noch das typische Landschaftsbild der Voralpen aufweist. Um die Zerstörung dieser einmaligen Naturlandschaft zu verhindern und der weiteren Landschaftszersiedelung entgegenzuwirken, bittet der Bund Naturschutz (BN) die Mitglieder des bayerischen Landtages dringend darum, nachfolgend genannte Punkte und Forderungen zu unterstützen bzw. für deren Umsetzung zu sorgen:

  1. Es ist unverzüglich darauf hinzuwirken, dass die Stadt Bad Aibling ihre Planungen für die Ausweisung eines Industriegebietes am vorgesehenen Standort nicht weiter verfolgt und die diesbezüglich laufenden Bauleitplanverfahren umgehend gestoppt werden.
  2. Es ist sicher zu stellen, dass das Weitmoos, die Willinger Filze und das Eglseemoos (Hoch- und Niedermoore nördlich der A 8) von Baumassnahmen freigehalten werden und stattdessen die naturschutzfachlichen Ziele und Vorgaben dieses ABSP-Schwerpunktgebietes umgesetzt werden.
  3. Für das geplante Logistikzentrum der Firma Kathrein sind so schnell wie möglich natur- und umweltverträgliche Alternativstandorte im Großraum Rosenheim zu prüfen. Dabei erscheint es sinnvoll den Stadt-Umland-Verband Rosenheim mit einzubinden.
  4. Wegen der erheblichen überörtlichen Raumbedeutsamkeit ist für das Vorhaben der Firma Kathrein ein Raumordnungsverfahren (ROV) durchzuführen, an dem auch der BN als nach § 29 BNatSchG anerkannter Naturschutzverband zu beteiligen ist.

Begründung

  1. Das geplante Vorhaben steht im Widerspruch zu landes- und regionalplanerischen Vorgaben:

    Das Landesentwicklungsprogramm (LEP) Bayern fordert in zahlreichen Zielvorgaben ausdrücklich die Verhinderung der weiteren Landschaftszersiedelung, bodensparende Formen bei der gewerblichen Entwicklung sowie verstärkte Anstrengungen zum Landschaftsschutz. Weiterhin werden gem. LEP B II 1.7 u.a. Moore als besonders schützenswerte Landschaftsteile eingestuft, die von einer Bebauung grundsätzlich freizuhalten sind. Auch nach Art. 13 d 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) gehören Moore zu den ökologisch besonders wertvollen Biotopen, und es ist definitiv festgelegt, dass Maßnahmen die zu einer Zerstörung oder sonstigen erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung führen unzulässig sind.

    Im Regionalplan (RP) der Region Südostoberbayern (18) sind ebenfalls eine Fülle von Aussagen enthalten, die der Ausweisung eines Industriegebietes am vorgesehenen Standort diametral widersprechen. Beispiele: Gemäß B II 1.5 sollen Siedlungsgebiete und sonstige Vorhaben schonend in die Landschaft eingebunden werden. Die Zersiedelung der Landschaft soll verhindert werden. Gemäß B I 3.6.1 sollen in naturnahen Niedermooren die charakteristischen Standortbedingungen dauerhaft erhalten werden. Hierzu gehören auch der vollständige Erhalt vorhandener Moore. Außerdem ist festzuhalten, dass das geplante Vorhaben in einem landschaftlichen Vorbehaltsgebiet errichtet werden soll, in dem den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege ein besonderes Gewicht zukommt.

  2. Direkte Auswirkungen des Vorhabens auf Natur- und Landschaft:

    Das geplante Industriegebiet liegt in einer weitgehend unberührten, ästhetisch reizvollen Landschaft im Willinger Weitmoos, das zusammen mit den angrenzenden Moorgebieten das größte Niedermoorgebiet der gesamten Region 18 darstellt. Trotz gewisser Vorbelastungen (z.B. Autobahn) ist das Gesamtgebiet wegen seines außergewöhnlich reichhaltigen Arteninventars und seiner Großflächigkeit von landesweiter

    Bedeutung gemäß dem Arten- und Biotopschutzprogramm. Es ist eine weite offene Wiesenlandschaft mit hoher Bodenfeuchte und vereinzelten Gehölzgruppen entlang von Gräben und Wegen und daher potentieller Lebensraum hochbedrohter Wiesenbrüter. Die konkret für das Projekt vorgesehenen Flächen sind für das Gebiet typische, noch sehr feuchte Mooswiesen, die von Gräben mit moortypischen Gehölzen gesäumt werden und in der Biotopkartierung erfasst sind.

    Das geplante Vorhaben mit einer Fläche von ca. 9,2 ha und der vorgesehenen Zulassung von Gebäuden bis 18,8 m Höhe hätte, neben der Zerstörung des Landschaftsbildes, auch erhebliche negative Auswirkungen auf die Schutzgüter Boden (großflächige Versiegelung), Grundwasser (Absenkungen durch z.B. Kanalbauten) und Oberflächengewässer. Es ist daher mit den Zielen des Natur- und Landschaftsschutzes nicht zu vereinbaren.

    Aus den unter Punkt 1 und 2 dargelegten Sachverhalten ergeben sich nach Ansicht des Bundes Naturschutz (BN) zwingend folgende Schlussfolgerungen:

  3. Bisherige und derzeit laufende Verfahren:

    Mit Schreiben vom 10.11.98 leitete die Regierung von Oberbayern eine landesplanerische Überprüfung des Vorhabens ein, da sie es als überörtlich raumbedeutsam einstufte. Der BN wurde daran beteiligt und hat in seiner Stellungnahme vom 17.12.98, die wir als Anlage beilegen, das geplante Projekt am vorgesehenen Standort entschieden abgelehnt. Nachdem die Regierung den Abdruck eines Schreibens des Landrates des Landkreises Rosenheim vom 02.04.98 erhalten hatte, in dem dieser der Fa. Kathrein zusichert, "dass die Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen (Ausweisung als Industriegebiet ohne zeitliche Einschränkung, 3-Schichtbetrieb ohne Behinderung, Lkw-Verkehr rund um die Uhr) und die bauliche Genehmigung in kürzestmöglicher Zeit erfolgen können", stellte die Regierung das Verfahren ohne landesplanerische Beurteilung ein. Sie teilte mit, dass die eingegangenen Stellungnahmen in das Bauleitplanverfahren eingebracht würden und dort abzuwägen seien.

    Der BN hat gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt, weil damit sein Beteiligungsrecht als nach § 29 BNatSchG anerkannter Verband ausgehebelt wurde. Weiter wurde bemängelt, dass für ein Vorhaben von erheblicher überörtlicher Raumbedeutsamkeit (was im vorliegenden Fall zweifelsfrei gegeben ist) ein Raumordnungsverfahren zwingend vorgeschrieben sei und dies nicht einfach durch die Zusicherung des Landrates bzw. die Verlagerung auf eine völlig andere Planungsebene umgangen werden kann. Die Vorgehensweise stellt somit einen Fall von landesweitem Präzedenzcharakter dar.

    Das Verwaltungsgericht (VG) München hat mit Beschluss vom 24.06.99 den Antrag des BN in allen Punkten bestätigt und bis zum Abschluss eines Raumordnungsverfahrens der Stadt Bad Aibling untersagt die Aufstellung des Bebauungsplanes weiter zu betreiben. Dabei ist hervorzuheben, dass das VG München auch die materielle Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise der Behörden als rechtswidrig einstufte und ausführte, dass nach summarischer Überprüfung ein ,erhebliches Risiko, dass das geplante Vorhaben den Zielen der Raumordnung und Landesplanung widersprechen wird" besteht.

    Zitat aus der Begründung:

    "Es spricht viel dafür, dass im vorliegenden Fall vor Aufstellung des Bebauungsplanes ein Raumordnungsverfahren durchzuführen ist; durch die Aufstellung des Bebauungsplanes ohne Durchführung eines erforderlichen Raumordnungsverfahrens wird der Antragsteller als anerkannter Naturschutzverband tatsächlich in seinen Rechten verletzt. Die abschließende Klärung dieser Frage muss in einem Hauptsacheverfahren erfolgen.

    Folgende Gesichtspunkte sprechen für die Annahme, dass im vorliegenden Fall ein Raumordnungsverfahren erforderlich ist: Gemäß Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 BayLPIG sind Gegenstand von Raumordnungsverfahren (weitere) ,Vorhaben öffentlicher und sonstiger Planungsträger, soweit sie von erheblicher überörtlicher Raumbedeutsamkeit sind", während § 15 Abs. 1 Satz 1 ROG (i.d.F. des Art. 2 des Bau- und RaumordnungsG 1998 - BauROG - v. 18.08.1997 BGBI I S. 2081) bestimmt, dass "raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen" in einem besonderen Verfahren untereinander und mit den Erfordernissen der Raumordnung abzustimmen sind.

    Die Unterscheidung zwischen überörtlicher Bedeutsamkeit eines Vorhabens und ,erheblicher" überörtlicher Bedeutsamkeit ist also im Raumordnungsgesetz nicht vorgesehen. Es bedarf daher der Klärung in einem etwaigen nachfolgenden Hauptsacheverfahren, ob das Bayerische Landesplanungsgesetz mit der Einschränkung, dass ein Raumordnungsverfahren nicht für jedes überörtlich bedeutsame, sondern nur für ein "erheblich" überörtlich bedeutsames Vorhaben durchgeführt werden muss, den vorgegebenen Rahmen des Raumordnungsgesetzes verletzt.

    Darüber hinaus spricht viel dafür, dass es sich bei dem Vorhaben, für dessen Verwirklichung der in Aufstellung befindliche Bauleitplan die rechtliche Grundlage schaffen soll, tatsächlich um ein Vorhaben von erheblicher überörtlicher Bedeutsamkeit handelt. Es spricht viel dafür, dass die Beeinträchtigungen, die ein Vorhaben von den im Bebauungsplan Nr. 62 "Eulenau" zugelassenen Dimensionen (das zudem die Ausweisung einer bislang unberührten Fläche als Industriegebiet fordert) in bezug auf die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach sich zieht, erheblich überörtliche Bedeutung haben, so dass dem Vorhaben selbst erhebliche überörtliche Bedeutsamkeit zukommt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der von der Unteren Naturschutzbehörde abgegebenen Stellungnahme....

    ... Bei der im Verfahren nach § 123VwGO allein möglichen summarischen Überprüfung besteht ein erhebliches Risiko, dass das geplante Vorhaben den Zielen der Raumordnung und Landesplanung widersprechen wird, so dass der Bebauungsplan, der dieses Vorhaben ermöglichen soll, wegen Verstoßes gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB nichtig sein könnte..."

    Der Stadtrat von Bad Aibling beschloss am 15.07.99 mehrheitlich keinen Widerspruch gegen den VG-Beschluss einzulegen. Dennoch stellte die Landesanwaltschaft Bayern am 19.07.99 Antrag auf Zulassung einer Beschwerde gegen den Beschluss des VG München. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH), als letzte Instanz, hat mit Beschluss vom 15.10.99 die Entscheidung des VG München revidiert und den Antrag des BN abgelehnt. Obwohl der VGH Verständnis für das Anliegen zeigte, könne der BN aus verfahrensrechtlichen Gründen keine Verletzung eigener Rechte im gegenwärtigen Stand des Verfahrens, d.h. im Hinblick auf die unterbliebene Durchführung eines Raumordnungsverfahrens, geltend machen.

Zitat aus der Begründung:

"Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO); denn ihm steht kein Rechtsanspruch gegen die Antraggegnerin zu, dass diese die begonnenen Bauleitplanverfahren erst fortsetzt, nachdem ein landesplanerisches Abstimmungsverfahren oder ein Raumordnungsverfahren durchgeführt worden ist. Angesichts des zum Teil ungewöhnlichen Umgangs der beteiligten Stellen mit dem Projekt "Logistikzentrum" einerseits und dessen naturschutzrechtlich empfindlicher Stellung andererseits erscheint es zwar verständlich, dass der Antragsteller in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Ziele energisch bemüht ist, seine Vorstellungen angemessen zu Gehör zu bringen. Zu diesem Zweck kann er jedoch nicht verlangen, dass die beiden Bauleitplanverfahren zunächst gestoppt werden".

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der VGH lediglich die Klagebefugnis des BN beurteilte und diese verneinte, die vom VG München (vergleiche oben) dargelegte Auffassung, wonach das Vorhaben materiell rechtlich problematisch und mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist, aber nicht zurückwies. Der BN ist daher nach wie vor der Überzeugung, dass auf Grund der oben dargelegten landes- und regionalplanerischen Vorgaben, sowie aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes das geplante Vorhaben am vorgesehenen Standort rechtswidrig i.S. des Gemeinwohls ist und daher nicht weiter verfolgt werden darf. Das fatale Ergebnis des VGH-Beschlusses (der sich lediglich mit der Klagebefugnis des BN befasste!) ist, dass die gegen sämtliche maßgeblichen naturschutzrechtlichen Vorschriften verstoßenden Planungen der Stadt Bad Aibling nun fortgeführt und vollendete Tatsachen geschaffen werden können.

Abschließend weisen wir darauf hin, dass der Bund Naturschutz (BN) mit seiner Eingabe nicht grundsätzlich gegen den, anscheinend erforderlichen, Neubau eines Logistikzentrums mit Produktionsanlagen der Firma Kathrein intervenieren will. Dem BN geht es vielmehr einzig darum, dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf sicher gestellt wird und damit die erhebliche überregionale Bedeutung des Vorhabens und dessen Auswirkung auf Natur und Landschaft berücksichtigt wird. Der vorgesehene Standort ist nach Ansicht des BN aus landes- und regionalplanerischer Sicht sowie aus naturschutzfachlichen Gründen und im Hinblick auf den Landschaftsschutz nicht für ein neues Industriegebiet geeignet. Zur Sicherung der Arbeitsplätze und aus wirtschaftlichen Aspekten ist daher die Suche eines umwelt- und naturverträglicheren Alternativstandorts im Raum Rosenheim für das Projekt der Firma Kathrein unverzüglich in Angriff zu nehmen. Der BN ist der Überzeugung, dass hierfür geeignete Flächen (z.B. mit entsprechender Verkehrsanbindung) ohne größere Nachteile für die Firma Kathrein durchaus zur Verfügung stehen, z.B. in Rosenheim, Raubling oder Bruckmühl, evtl. auch in Kolbermoor.

Der Bund Naturschutz (BN) bittet die Mitglieder des Bayerischen Landtages darum, die dargelegten Forderungen bzw. Vorschläge zu unterstützen und angesichts der Dringlichkeit sowie der überregionalen Bedeutung der Angelegenheit die Eingabe vorrangig zu behandeln.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Hubert Weiger
Landesbeauftragter des BN

 

Anlage: Stellungnahme des BN vom 17.12.1998