Offener Brief an Minister Wiesheu


Grüne Offene Liste und Umweltgruppe Bad Aibling

Stadträtin Heidi Benda
Stadtrat Christian Poitsch
Willinger Str. 21, 83043 Bad Aibling

Offener Brief

an den Bayer. Staatsminister
für Wirtschaft, Verkehr und Technologie
Herrn Dr. Otto Wiesheu
Prinzregentenstr. 28
80538 München

Bad Aibling, 19. Oktober 2000


Logistik-Zentrum der Kathrein-Werke AG in der "Eulenau" - Bad Aibling

Zu Ihrem Schreiben vom 25.09.2000 Nr. 6405-V/1b-28335 M-Nr. 1880

Sehr geehrter Herr Dr. Wiesheu,

mit Erstaunen haben wir zur Kenntnis genommen, daß in Ihrem Schreiben vom 25.09.2000 verschiedene Sachverhalte falsch dargestellt wurden.

Zu Abs. 1: ... bevor Sie in den nächsten Sitzungen eine endgültige Entscheidung bezüglich des Erschließungs- und Finanzierungsvertrages mit Herrn Prof. Dr. Kathrein im Rahmen des geplanten Kathrein-Logistikzentrums im Baugebiet "Eulenau" in Bad Aibling treffen, möchte ich folgende Punkte zu bedenken geben: ...

Laut Sachstand vom 25.09.2000 (Datum Ihres Schreibens) wäre die Sitzung des Stadtrates vom 28.09.2000 der letzte Termin zur Unterzeichnung des städtebaulichen Vertrages gewesen. In der Sitzung selbst wäre abschließend über Billigungs- und Auslegungsbeschluß bzw. Einstellung des Verfahrens beschlossen worden. Von einer Behandlung "in den nächsten Sitzungen" konnte zu diesem Zeitpunkt daher keine Rede sein. Das vorgesehene Procedere wurde nur durch den privaten Anruf von Herrn Kathrein am 26.09.2000 beim 1. Bürgermeister der Stadt Bad Aibling unterbrochen.

Bei dem zur Debatte stehenden Werk handelt es sich nicht um einen "Erschließungs- und Finanzierungsvertrag", sondern um einen städtebaulichen Vertrag.

Es handelt sich nach wie vor nicht nur um ein Logistikzentrum (dieses würde der städtebauliche Vertrag zulassen), sondern, wie mittlerweile bekannt, auch um Produktionsstätten.

Es gibt kein "Baugebiet Eulenau". Nach Stand des Verfahrens handelt es sich bei dem betreffenden Grundstück nach wie vor um eine landwirtschaftliche Nutzfläche.

Zu Abs. 3: ... Mit der Ansiedlung der Firma Kathrein in Bad Aibling sind für die Stadt und ihre Bürger beachtliche Vorteile verbunden. Ich nenne beispielhaft nur die Schaffung von Arbeitsplätzen. ...

Mit der Ansiedlung eines Logistikzentrums und einer industriellen Produktionsstätte an diesem Standort sind für die Stadt und ihre Bürger nicht nur Vorteile verbunden. Nicht umsonst widerspräche eine derartige Ansiedelung, wie Ihnen zweifellos bekannt ist, den Vorgaben von Landesentwicklungsprogramm, Regionalplan, Flächennutzungsplan, Landschaftsplan und Stadtentwicklungsplan.

Zu Abs. 4: ... Auch die Belange des Naturschutzes werden beim Bau des Logistikzentrums am vorgesehenen Standort berücksichtigt, zum Beispiel durch die Vermeidung von Verkehrsbelastung im Wohngebiet oder durch Bepflanzung und Aufforstung des Geländes. ...

Wie u. a. aus den Stellungnahmen der Unteren Naturschutzbehörde und des Staatl. Forstamtes hervorgeht, werden die Belange des Naturschutzes durch "Bepflanzung und Aufforstung des Geländes" keinesfalls ausreichend berücksichtigt. Eine Niedermoorfläche im Außenbereich soll zu 80% versiegelt und die bestehende Vegetation zerstört werden. Die für die Kurorte Bad Aibling und Bad Feilnbach sowie die gesamte Ferienregion immens wichtige und bisher unversehrte Kulturlandschaft würde entstellt.

Zu Abs. 5: ... Nach Auskunft des Landratsamtes Rosenheim enthalten die Stellungnahmen der Träger der öffentlichen Belange keine gravierenden Einwände; auch Sie haben sich mit Beschluß vom 27.08.1998 für die Ausweisung des Areals als Industriegebiet ausgesprochen. ...

Eine derartige Auskunft des Landratsamtes bezüglich der Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange ist (falls in dieser Form erfolgt) falsch.

Zitat aus dem Beschlußvorschlag der Verwaltung für die Stadtratssitzung vom 28.09.2000:

"Folgende Behörden erhoben tendenziell erhebliche Bedenken:

Landratsamt Rosenheim, Untere Naturschutzbehörde
Landratsamt Rosenheim, Gartenbauamt
Bayer. Forstamt Rosenheim
Amt für Landwirtschaft und Ernährung
Bund Naturschutz in Bayern e. V.
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V.

Von folgenden Trägern öffentlicher Belange wurden Bedenken gegen die Bauleitplanungen vorgebracht:

Regierung von Oberbayern, Sachgebiet 800, Landesplanung
Landratsamt Rosenheim, techn. Immissionsschutz
Wasserwirtschaftsamt Rosenheim
Autobahndirektion Südbayern

Folgende Träger öffentlicher Belange stimmten den Bauleitplanungen teilw. mit Maßgaben zu:

LRA Rosenheim, Kreistiefbauabteilung
IHK für München und Oberbayern
Stadtwerke Bad Aibling
Isar-Amper-Werke
Straßenbauamt Rosenheim
Stadt Kolbermoor
Gemeinde Bad Feilnbach
Autobahndirektion Südbayern".

Zu Abs. 6: ... Der Bürgerentscheid vom 09.04.2000 fiel zugunsten der Firma Kathein aus. ...

Zwar fiel der Bürgerentscheid knapp zu Gunsten der Aufstellung des Bebauungsplanes aus. Herr Kathrein hat sich jedoch bislang geweigert, den städtebaulichen Vertrag, in dem lediglich seine eigenen, im Vorfeld des Bürgerentscheids öffentlich und freiwillig gemachten Versprechungen festgeschrieben wurden, zu unterzeichnen.

Zu Abs. 7: ... Sollten sich die Stadt und die Firma Kathrein nicht einigen können, dann muß damit gerechnet werden, daß sich die Firma für ihr Logistikzentrum einen Standort anderswo bzw. im Ausland sucht, was Herr Prof. Kathrein bereits mehrfach angekündigt hat. Das heißt nicht nur, daß jetzt keine neuen Arbeitsplätze in Bad Aibling entstehen. Das heißt auch, daß der Ruf Bayerns als hervorragender Informations- und Kommunikationsstandort in Mitleidenschaft gezogen wird und daß die Bemühungen der Bayerischen Staatsregierung um die Ansiedlung von Unternehmen in Bayern und die Schaffung von Arbeitsplätzen erschwert werden. Standortpolitik beginnt auf kommunaler Ebene. Eine Entscheidung gegen Kathrein wäre deshalb standort- und beschäftigungspolitisch ein falsches Signal. ...

Es ist Ihre Aufgabe als Bayer. Wirtschaftsminister, für Unternehmen geeignete Standorte ausfindig zu machen, die einem ordentlichen Verfahren (incl. Raumordnungsverfahren) standhalten. Von den 12 Standortalternativen, die laut Kathrein angeblich zur Auswahl standen, wurden der Öffentlichkeit bis heute die 11 ausgeschiedenen vorenthalten. Eine solide Wirtschaftspolitik zeichnet sich auch dadurch aus, dass alle möglichen Standorte nach objektiven Kriterien und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar geprüft werden. Es kann nicht Aufgabe einer Kommune sein, eine landesplanerische Beurteilung vorzunehmen bzw. deren Fehlen zu kompensieren.

Völlig recht haben Sie mit Ihrer Aussage: "Standortpolitik beginnt auf kommunaler Ebene". Damit unterliegt sie jedoch auch der kommunalen Planungshoheit, die selbst ein Minister zu respektieren hätte.

Zu Abs. 8: ... Ich appelliere deshalb an Sie, alles daranzusetzen, um die mit der Firma Kathrein gefundene Lösung gangbar zu machen. ...

Es gibt zur Zeit keine "mit der Firma Kathrein gefundene Lösung", weil der vom Stadtrat mit großer Mehrheit verabschiedete städtebauliche Vertrag, wie bereits erwähnt, von Herrn Kathrein nicht unterzeichnet wurde.

Zu Ihrer Standortpolitik und den damit verbundenen Signalen bleibt noch anzumerken:

Fremdenverkehrsregionen müssen in Abstimmung mit Ihrer Sonderfunktion wirtschaftspolitisch weiter entwickelt werden. Eine vorausschauende und nachhaltige Wirtschaftspolitik muß in diesem Fall die "weichen" Standortfaktoren stärker gewichten, um die bisherigen Erwerbsstrukturen auf dem Tourismussektor nicht zu gefährden. Die Ausweisung eines Industriegebietes im absoluten Aussenbereich und in weithin einsehbarer Landschaft ist daher landesplanerisch das völlig falsche Signal. Disperse, großflächige Industrieanlagen in einer bäuerlich geprägten Kulturlandschaft unterminieren das jahrelange Bestreben des Ministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen, die voranschreitende, unkontrollierte Zersiedelung im Rahmen einer vernünftigen Landesplanung zu stoppen.

Es wäre eine politische Bankrotterklärung, wenn sich zukünftig mächtige Unternehmen betriebswirtschaftlich günstige und prominente Standorte nach Gutdünken auswählen dürften und dabei auch noch mit der uneingeschränkten Unterstützung des Bayer. Wirtschaftsministers rechnen könnten.

Mit freundlichen Grüßen